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Ausgerechnet ein Staatsrechtler aus Deutschland muss der Schweiz erklären, was sie mit dem neuen Rahmenabkommen verlieren würde

In einem Interview in der NZZ spricht Andreas Glaser Klartext zum geplanten neuen Rahmenabkommen mit der Europäischen Union. Glaser ist im hessischen Hanau geboren und hat an deutschen Hochschulen studiert. Seit 2013 wirkt er als Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht unter besonderer Berücksichtigung von Demokratiefragen.

-> Zum Interview der NZZ

Der Behauptung der Wirtschaftsverbände und deren Agentur Furrerhugi, es handle sich beim neuen institutionellen Abkommen um «Bilaterale III» und damit gewissermassen um eine kontinuierliche Fortsetzung des «bilateralen Wegs», erteilt Andreas Glaser eine deutliche Abfuhr.

So sagt der Staatsrechtler wörtlich: «Das Abkommen würde die dynamische Rechtsübernahme über alle bilateralen Verträge bringen, zudem würde der Europäische Gerichtshof (EuGH) neu eine wichtige Rolle spielen. Diese beiden Elemente im Abkommen würden das Verhältnis der Schweiz zur EU auf eine ganz andere Stufe heben.»

Das Parlament würde «spürbar an Bedeutung verlieren», denn es könnte lediglich noch die Änderungen des EU-Rechts übernehmen und innerstaatlich umsetzen. Dazu Glaser: «Mir scheint, dass man sich über die institutionelle Tragweite des Abkommens nicht überall im Klaren ist.»

Auch die Rolle des Schweizerischen Bundesgerichts wäre eine weit unbedeutendere als bisher, denn dieses wäre faktisch dem Europäischen Gerichtshof unterstellt. Die Bürger könnten zwar noch abstimmen, müssten aber je nach Ausgang mit EU-Sanktionen rechnen.

Über die einhellige Zustimmung der Kantonsregierungen zum EU-Anbindungsvertrag kann sich Professor Glaser nur wundern, ja, er wirft ihnen im Prinzip Ignoranz vor: «Möglicherweise sind sich die Kantone nicht bewusst, welche Folgen das Abkommen für sie selber haben würde. Ihr politischer Einfluss – über Vernehmlassungen, über den Ständerat, aber auch informell – würde kleiner.»

Ganz entschieden spricht sich Andreas Glaser für das obligatorische Referendum, also für die notwendige Zustimmung von Volk und Ständen, aus. Dazu bestünden mit dem Freihandelsabkommen von 1972 und der EWR-Abstimmung von 1992 entsprechende Präzedenzfälle. Sollte die Bundesversammlung anders entscheiden, würde sie «einen Bruch gegenüber ihrer bisherigen, mehrfach bestätigten Praxis vollziehen». Es ist bedauerlich, dass in Zürich ein deutscher Staatsrechtsprofessor in der Nachfolge des grossen Zaccaria Giacometti derart klartexten muss. Von Andreas Glasers Schweizer Kollegen hat man leider ähnlich Entschiedenes bislang nicht gehört.