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WEF 2024: Nüchterne Bilanz für die souveräne und neutrale Schweiz – Zu viel Naivität oder Selbstüberschätzung?

Bern, 19. Januar 2024 - Das World Economic Forum (WEF) 2024 ist zu Ende. Für die überparteiliche Organisation Pro Schweiz waren zwei Themen von zentraler Bedeutung: Die Rolle der neutralen Schweiz im Ukraine-Krieg und die geplanten Verhandlungen mit der EU-Kommission über institutionelle Fragen. Die Bilanz fällt für die 25'000 Mitglieder starke Bewegung Pro Schweiz nüchtern aus.

Im Vorfeld des WEF fand das 4. Treffen der Nationalen Sicherheitsberater im Rahmen der ukrainischen Friedensformel statt. Der ukrainische Präsident Selensky präsentierte zehn Grundsätze für einen dauerhaften Frieden in der Ukraine. Am Treffen nahmen über 80 Staaten teil. Russland wurde aber an das Treffen nicht eingeladen.

Aus Sicht einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik war es weder sinnvoll noch zielführend, dass die Schweiz das Treffen zusammen mit den Behörden der Ukraine vorbereitete und durchführte. Die offizielle Schweiz trat, vertreten durch den Chef des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Bundesrat Ignazio Cassis, medien- und bildstark gemeinsam mit Präsident Selensky auf. Der Auftritt mit Nationalratspräsident Eric Nussbaumer (SP) und Ständeratspräsidentin Eva Herzog (SP) im Bundeshaus zementierte den Eindruck, die Schweiz sei ein Allianzpartner der Ukraine. Dass gerade der Sozialdemokrat Eric Nussbaumer sich mit Selensky öffentlichkeitswirksam solidarisiert, zeigt, wie widersprüchlich agiert wird. Als Nationalratspräsident unterstützt er zwar den Kampf der Ukraine gegen Russland, verhindert aber mit seinem Stichentscheid in der Wintersession eine dringend notwendige Erhöhung des Armeebudgets.

Selbstverständlich anerkennt auch Pro Schweiz den Tatbestand, dass der russische Angriffskrieg grundsätzliches Völkerrecht verletzt. Diese rein rechtliche Betrachtung rechtfertigt aber nicht, dass mit Blick auf erfolgreiche Friedensverhandlungen und zwar mit beiden Kriegsparteien, die Glaubwürdigkeit der Neutralität über Bord geworfen wird. Den leidtragenden Menschen, der Sicherheit Europas und der Umwelt nützen das Verharren und Verstecken hinter dem Völkerrecht nichts. Damit endlich Möglichkeiten für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen ausgelotet werden können, müsste die Schweiz ihre Neutralität erstens wiederherstellen und zweitens beide Kriegsparteien an den Tisch bringen. Es ist unverständlich, dass sich der Bundesrat hinter den Zehn-Punkte-Plan der Ukraine stellt, welcher unter dem Strich die Kapitulation und die Verurteilung der Atommacht Russland durch den Internationalen Strafgerichtshof fordert. Man ist erstaunt, welche aussenpolitische Naivität hier die Verantwortlichen begleitet. Bereits die wenig reflektierte Übernahme der EU-Sanktionspakete zeigte, dass die Schweiz die Rolle als Vermittlerin verlieren wird. Zudem ist es von grober Selbstüberschätzung, dass Bundespräsidentin Viola Amherd – offenbar ohne Rückhalt des Gesamtbundesrates – bereits jetzt und ohne jeglichen Miteinbezug Moskaus von einer Friedenskonferenz in der Schweiz spricht. Frau Bundesrätin Amherd ist endlich die Aufgabe «einer Bundespräsidentin» aufzuzeigen. Sie darf die schweizerische Aussenpolitik nicht im Alleingang gestalten.

Die Absicht von Bundesrat Cassis, vor Russland China für weitere Friedensgespräche zu gewinnen, zeigt, wie emotional vermessen Bundesbern handelt. Der Aussenminister muss umgehend nach Moskau reisen und in Erfahrung bringen, welche Bedingungen für eine Friedenskonferenz seitens Russlands verlangt werden.

Pro Schweiz begrüsst alle Bemühungen, die erfolgsversprechende Friedensverhandlungen ermöglichen. Pro Schweiz fordert deshalb, dass die Neutralitätspolitik der Schweiz rasch wieder so ausgerichtet wird, dass sie auch von Russland wieder als glaubwürdig anerkannt wird. Nur so kann die neutrale Schweiz als echte Vermittlerin auftreten.

Fazit: Die schweizerische Neutralität hat im Rahmen des WEF 24 weiter an Glaubwürdigkeit verloren. Der Bundesrat verwechselt die Aufgabe der neutralen Schweiz mit dem Anspruch einer Werbe-Agentur, «seht her, wir sind wichtig und tun etwas!» Pro Schweiz sieht sich bestätigt, dass die Grundsätze der Neutralität in der Bundesverfassung verankert werden müssen. Deshalb unterstützt Pro Schweiz die Unterschriftensammlung für die Neutralitätsinitiative mit aller Kraft. Die Initiative wird auch den blinden Drang in die NATO bremsen.

«Freundliche EU-Kommission»

«Freundlich» seien die Gespräche zwischen der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und der Bundespräsidentin, Viola Amherd, gewesen. Auch die Gespräche mit dem EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic und Bundesrat Cassis sollen konstruktiv gewesen sein. Also nichts Neues in der EU-Politik; die EU bleibt «nett» und verharrt auf ihren Positionen. Für Pro Schweiz ist klar, dass es keine institutionelle Anbindung an die gesetzgebenden und richterlichen Instanzen der EU geben darf. Pro Schweiz wiederholt ihre Positionen erneut und ermahnt den Bundesrat, entsprechend die Interessen der souveränen und direktdemokratischen Schweiz konsequent wahrzunehmen:

  1. Keine automatische, beziehungsweise «dynamische», Übernahme von EU-Folgerecht.
  2. Keine Unterstellung der schweizerischen Gesetzgebung inklusive des Referendumsrechts und Gerichtsbarkeit unter die Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU (EuGH).
  3. Keine rechtlichen Verknüpfungen von Abkommen mit sogenannten «Guillotine-Klauseln».
  4. Keine Verpflichtung, das Freihandelsabkommen von 1972 mit einer «Guillotine-Klausel» mit anderen Abkommenspaketen zu verknüpfen und keine verpflichtende Agenda, das Freihandelsabkommen zu «modernisieren» sowie keine Unterstellung des Abkommens unter das Regime eines möglichen institutionellen Rahmens.
  5. Keine Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) bei der Personenfreizügigkeit.

Fazit: Pro Schweiz wird jede institutionelle Anbindung an die Europäische Union (EU) bekämpfen. Der bilaterale Weg an sich und der Zugang zum EU-Binnenmarkt werden begrüsst, aber nicht um jeden Preis. Die Gesetzgebung, die Gerichtsbarkeit und die demokratische Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger müssen unangetastet bleiben.