Interview: Othmar von Matt
Politisch bezeichnen Sie sich als Newcomer. Sie sind nun Präsident von Pro Schweiz, waren aber schon in der Autopartei, in der FDP und jetzt in der SVP. Sind Sie endlich am richtigen Ort?
Stephan Rietiker: In der SVP bin ich sicher am richtigen Ort. Ich war aber nie politisch aktiv, weil ich nicht talentiert bin für die Politik. Ich kann mich nicht verbiegen, nur um des Kompromisses willen.
Sie sind Arzt undMedtech-Unternehmer, waren GC-Präsident – und machen gerade den Skilehrer. Sind Sie ein Unruhegeist?
Das stimmt schon. Ich bin neugierig und interessiert an neuen Aufgaben. Golf spielen kann ich auch noch mit 70.
Im Moment sammelt Pro Schweiz Unterschriften für die Neutralitätsinitiative. Wo steht man?
Wir sind sehr gut unterwegs, dürften die nötigen Unterschriften im Verlauf des Jahres zusammenhaben.
Im«Tages-Anzeiger» schrieben Sie: «Die aktuelle Weltlage zeigt auf dramatische Weise die Notwendigkeit für ein Land wie die Schweiz, das zwischen Kriegs- und Konfliktparteien vermitteln kann.» Nur: Stimmt das noch?
Das stimmt absolut.
Mit Ländern wie der Türkei, China und Indien sind aber neue Vermittler aufgetaucht.
Die Schweiz erhebt keinen Alleinanspruch als globale Vermittlerin. Die Türkei kam ins Spiel, weil Russland die Schweiz nicht mehr als neutral erachtet. Hätten wir die Sanktionen nicht übernommen, wäre das anders. Davon bin ich überzeugt.
Nur: Ist die Türkei neutral?
Sie ist überhaupt nicht neutral. Sie ist in die Nato integriert, hat ein eigenartiges Verhältnis zu Europa, grenzt sich von den USA ab, nähert sich Russland an, schüttelt China die Hand. Das ist eine schwierige Gratwanderung.
China will zwar einen Frieden finden zwischen Russland und der Ukraine, ist aber auch nicht neutral.
China vertritt eine Machtpolitik im ureigensten Interesse – wie die USA. Schauen wir uns das Machtgefüge genauer an: Die USA betreiben Machtpolitik. Die EU macht, was die USA ihr sagen. China will die USA überholen und eindämmen. Russland muss sich irgendwie positionieren. Und Indien gibt sich sehr autonom.
Es vermitteln zunehmend nicht neutrale Länder.
Weil die Schweiz nicht zur Verfügung steht als Vermittlerin. Aus meinem geschäftlichen Umfeld höre ich gerade in den USA, die Schweiz solle bei ihrer Neutralität bleiben. Das sei ihre Stärke. Wenn ich aber die Zeitungen öffne, scheint nur noch die EU zu existieren. Obwohl sie ein Auslaufmodell ist. Die EU geht den Bach runter. Selbst Deutschland ist aus meiner Sicht verloren, wenn es noch lange so weiterwurstelt.
Deutschland ist der Motor der EU. Weshalb sollte das Land verloren sein?
Deutschland deindustrialisiert sich rasant. Ob das gut geht, wage ich zu bezweifeln. Deutschland ist der Nettozahler der EU schlechthin. Allen anderen geht es viel schlechter. Ich weiss auch nicht, ob der Euro überleben wird, wenn man seine Entwertung sieht. Das gibt mir zu denken.
Sie malen düstere Perspektiven.
Dazu stehe ich.
Die EU kam aber bisher aus allen Krisen gestärkt hervor.
In Zukunft werden die Brics-Staaten – also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – die erste Geige spielen. Deshalb kann es nur im Interesse der Schweiz sein, mit diesen Ländern eine Partnerschaft einzugehen. Die Schweiz muss vom Risk Management her ihr geschäftliches Feld verbreitern.
Sie sehen die Schweiz als Unternehmen?
Da wurde ich früher falsch zitiert. Es geht darum, dass gewisse Aspekte der Unternehmensführung eine Rolle spielen können im Management eines Landes. Denken Sie an die Kommunikation. Es ist doch ein Irrsinn, dass Parlamentarier zu Höflichkeitsbesuchen in der Welt herumreisen. Der Bundesrat bestimmt die Aussenpolitik. Zu viele Köche verderben den Brei. Wir müssen mit einer Stimme sprechen.
Das gelingt der Schweiz in den Gesprächen mit der EU nicht.
Schauen Sie sich doch die Bürokratie an in der EU. Da hat jeder ein Mitspracherecht. Müssen wir das wirklich kopieren?
In der Schweiz hat auch jeder ein Mitspracherecht.
Viel weniger stark. In der EU gibt es viele Kommissionen mit Präsidenten, ersten und zweiten Vizepräsidenten. Jeder vertritt jeden. Für Aussenstehende ist es fast unmöglich, dieses Dickicht an Personen und Regularien zu durchdringen.
Sie sind total Anti-EU.
Das ist zu hart. Ich bin nicht anti. Ich bin pro Schweiz. Der Name ist Programm.
Sie stellen den bilateralen Weg grundsätzlich infrage?
Nein. Aber er darf unsere demokratischen Rechte nicht tangieren. Wir dürfen uns in keiner Art und Weise der EU-Gerichtsbarkeit unterstellen. Und beim Personenverkehr werden wir noch gewisse Dinge einbringen. So kann es nicht weitergehen.
Die EU wird es nicht akzeptieren, dass die Schweiz bei europäischem Recht nicht dem Europäischen Gerichtshof unterstellt ist.
Dann gibt es keinen Deal. Man muss bereit sein, aufzustehen vom Verhandlungstisch.
Das tat der Bundesrat beim Rahmenabkommen.
Das hat mich auf dem linken Fuss erwischt. Das hätte ich nie erwartet. Auch Herr Blocher nicht. Ich fand es phänomenal, dass der Bundesrat den Mut dazu hatte.
Grosse Befürchtungen hegen Sie auch bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie glauben, der Pandemiepakt bedrohe die souveräne Schweiz.
Die Befürchtungen sind berechtigt. Wir analysieren gerade die zweiten Entwürfe des Pakts. Die WHO will eine Art supranationale Regierung etablieren, die volle Anordnungskraft in allen Ländern hat in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft und Klima. Findet der Generaldirektor der WHO, es sei eine Pandemie ausgebrochen, muss die ganze Welt durchgeimpft werden. Das steht in den Entwürfen. Die WHO würde künftig auch entscheiden, wo welche Medikamente in welchen Mengen und zu welchem Abnahmepreis produziert werden. Das sind kolchosenähnliche Zustände.
Im Pakt steht aber in der Einführung wie in Artikel 4, die Staaten seien souverän in ihrer Gesundheitspolitik, sofern sie «ihrer Bevölkerung und anderen Ländern keinen Schaden zufügen».
Das ist ein Gummiparagraf, der durch andere Paragrafen relativiert oder aufgehoben wird.
Von einer globalen Impfpflicht ist im Pakt aber nicht die Rede.
Fazit aller Vertragsanpassungen ist: Die WHO kann ohne Konsultation der Länder Massnahmen anordnen wie etwa Zwangsimpfungen. Und sie verfügt über Mittel, um diese Massnahmen allenfalls durchzusetzen.
Die Freunde der Verfassung und Mass-voll bereiten ein Referendum vor gegen den Pandemiepakt der WHO. Gehen Sie eine Allianz ein mit ihnen?
Das ist im Moment nicht vorgesehen. Wir führen unsere eigene Kampagne. Sie soll rein fakten- und evidenzbasiert und nicht emotional geführt werden. Etwas liegt mir allerdings noch auf dem Herzen.
Was?
Wir dürfen uns von all diesen Problemen nicht beirren lassen. Die Schweiz hat viele Chancen. Ich bin absolut optimistisch, dass die mittlere und ältere Generation der Schweiz das schafft – im Verbund mit der jüngeren Generation. Diese wollen wir auch abholen.
Das Interview erschien am 2. Juni 2023.