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Hommage an die Schweizer Neutralität

Von Dr. Stephan Rietiker, Präsident Pro Schweiz
Von Dr. Stephan Rietiker, Präsident Pro Schweiz
Die Schweiz verfügt wie kein anderes Land über eine jahrhundertelange, glaubwürdige Neutralität. Diese glaubwürdig verankerte Neutralität hat es der Schweiz ermöglicht, in vielen internationalen Konflikten ihre guten Dienste zur Verfügung zu stellen.

Die aktuelle Weltlage zeigt auf dramatische Weise die Notwendigkeit für ein Land wie die Schweiz, das zwischen Kriegs -und Konfliktparteien vermitteln und eine Plattform für Verhandlungen bieten kann. Trotzdem versuchen gewisse Kreise im Inland und auch ausländische Diplomaten Druck auf die Schweiz auszuüben, damit sie sich vollumfänglich an Sanktionen gegen Russland beteiligt und Waffenlieferungen, wenn nicht direkt dann mindestens indirekt, ermöglicht. Der Tenor dieser Neutralitäts-Verwässerer ist immer derselbe: die Neutralität der Schweiz ist ein Auslaufmodell und muss überdacht bzw. angepasst werden. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden sicherheitspolitischen und aussenpolitischen Gleichschaltung von EU und europäischem Arm der NATO werden die Rufe nach einer «Relativierung der Neutralität» zugunsten einem falsch verstandenen Solidaritätsdenken immer lauter. Diesen Totengräbern der Neutralität ist folgendes entgegenzuhalten:

  1. Die immerwährende, integrale und bewaffnete Neutralität ist absolut und auf den Ernstfall ausgerichtet. Sie kann nicht leichtfertig und nach Belieben aufgrund eines aktuellen Ereignisses modifiziert werden. So gibt es keine «Putin-Neutralität» oder ähnliches. Die uns anlässlich des Wiener Kongresses auch mit dem Plazet von Russland garantierte immerwährende, integrale und bewaffnete Neutralität setzt gegenüber dem Ausland und unseren Partnern ein unmissverständliches Signal, dass wir langfristig verlässlich und ganzheitlich an unserer Neutralität festhalten und sie notfalls mit unserer Armee verteidigen werden.
  2. Der Begriff der Neutralität richtet sich grundsätzlich auf Kriege. In einem Krieg gibt es immer Angreifer und Verteidiger. Es ist somit intellektuell unredlich, in Bezug auf den Russland-Ukraine Konflikt die Neutralität situativ zu relativieren oder gar zu schleifen, um sich einseitig gegen einen Angreifer zu positionieren. Für einen neutralen Staat ist das «gut-böse» Denkschema ausser Kraft gesetzt, was es ermöglicht, die guten Dienste anzubieten. Dass Putin Art. 51 der UN-Charta für sich reklamiert, um einem anderen Verbündeten zu Hilfe zu eilen, ist völkerrechtlich möglicherweise gedeckt aber sicher problematisch, aber dennoch nicht aussergewöhnlich: auch China und die USA haben öfters auf diesen problematischen Artikel zurückgegriffen, letztere ohne dass es je zu einem Aufschrei gekommen wäre. In diesem Zusammenhang sollte gerade in einem neutralen Staat wie der Schweiz tunlichst darauf geachtet werden, keine Doppelmoral entstehen zu lassen.
  3. Unsere Eliten wissen, dass die Neutralität im Volk tief verankert ist. Deshalb glauben sie, in heuchlerischer Art und Weise operieren zu müssen, indem sie gegen innen die Neutralität propagieren und gleichzeitig gegen aussen parteiisch auftreten. So hat der Bundesrat leichtfertig Hand geboten zu Sanktionen gegenüber Russland, so etwa zur Blockade von russischen Konten in der Schweiz. Das hat sowohl unserer Glaubwürdigkeit als auch unserem Wirtschaftsstandort massiv geschadet: so haben eine grössere Anzahl von Ausländern ihr Kapital aus der Schweiz in andere Länder abgezogen. Es ist durchaus legitim, über den Wert der Neutralität einen Diskurs zu führen. Dieser müsste jedoch unter Einbezug des Souveräns, nämlich dem Volk, an der Urne geschehen.
  4. Die bewaffnete Neutralität hat uns gerade im 2. Weltkrieg vor äusseren Aggressoren wirksam geschützt. Sie ist kein Auslaufmodell, wie manche uns glauben machen wollen, sondern ganz im Gegenteil ein Zukunftsmodell: Auf der Basis von Glaubwürdigkeit, Kontiunität, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sichern wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit gerade auch für unsere junge Generation. Unser Volk erwartet vom Bundesrat und unseren Politikern keine Ausübung von Machtpolitik, sondern den Schutz unseres Volkes und die Sicherung unseres Wohlstands. Gerade dem Bundesrat obliegt die Pflicht, unsere Neutralitätspolitik in die Aussenpolitik zu integrieren und unsere Neutralität auf dem aussenpolitischen Parkett verständlich zu erklären. Im Bereich der guten Dienste, der Aufnahme von Flüchtlingen – wie zurzeit aus der Ukraine – sowie umfassenden Verhandlungsangeboten vermag die Schweiz einen grossen Beitrag zur globalen Friedensförderung und Friedenssicherung zu leisten. Diesen Trumpf dürfen wir nicht leichtfertig aus der Hand geben!