Beitrag teilen

Politische Standortbestimmung

Referat an der Mitgliederversammlung «Pro Schweiz» vom 5. April 2025 in Bern von Dr. Stephan Rietiker, Präsident Pro Schweiz.

Geschätzte Damen und Herren, liebe Freunde und Mitstreiter

 

Wir leben in einer verrückten Zeit. Einige Zitate aus früheren Zeiten belegen allerdings, dass es solche Zeiten auch schon gab: so sagt etwa Shakespeare in King Lear: « Es ist der Fluch unserer Zeit, dass Irre Blinde führen». Und Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert: « Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends.» Und Winston Churchill sagte einmal: «Manche halten den Unternehmer für eine räudigen Wolf, den man totschlagen müsse. Andere meinen, er sei eine Kuh, die man ununterbrochen melken könne. Nur wenige sehen in ihm ein Pferd, das den Karren zieht».

Und dann quasi als Sahnehäubchen obendrauf eine Kurz-Zusammenfassung des SP-Wahlprogramms, das ich kürzlich in Social Media gelesen habe

  1. Ich will alles
  2. Ich will nichts dafür tun
  3. Jemand anders soll dafür bezahlen.

Als ich diese Standortbestimmung vorbereitete, kam mir Cicero’s Ausruf in den Sinn: «Was für Zeiten, was für Sitten». So begann ich zu überschlagen, welches denn die grössten aktuellen politischen Missstände sind. Ich hatte sofort die Qual der Wahl:

  • Staatsquote
  • Wirtschaftliche Entwicklung
  • Klimawahnsinn
  • Woke-Wahnsinn
  • Serbelnde Rüstungsindustrie
  • Bröckelnder Wehrwillen
  • Die Volksschule als soziologisches Versuchslabor
  • Stark ansteigende Kriminalität und Terrorgefahr
  • EU-Frage
  • Die desaströse Asylpolitik
  • Ausufernde Beschneidungen der Meinungsfreiheit
  • Internationalisierung beziehungsweise «Soft-Law-isierung» unserer Rechtsordnung
  • in den Nachbarländern ein noch prekärerer Wirtschaftsgang
  • eine extreme Staatsverschuldung
  • eine Tendenz zu sozial hochexplosiven Verliererkoalitionen…

Meine Damen und Herren, ich könnte die Aufzählung noch lange fortführen. Aber ich glaube, das ergibt keinen Sinn. Erstens müsste ich ja irgendwie eine Ordnung in diese Aufzählung reinbringen und dann hätte ich das Problem der Mücke am FKK-Strand: Ich wüsste nicht, wo zu beginnen.

 

Zweitens bringt es auch deswegen nichts, weil wir hier ja unter uns sind. Wir sehen es ja ähnlich. Und dementsprechend wenig ausser schlechter Laune bringt es, einander Probleme aufzuzählen.

 

Und drittens und letztens kam mir beim Nachdenken über die Missstände in der Schweiz ein deutscher Unternehmer in den Sinn, der sich kürzlich wie folgt zur Politik in Deutschland äusserte:

«Wie kann es sein, dass die Mehrheit der Menschen so blind einer politischen Elite von ungebildeten, unausgebildeten, fachfremden und ahnungslosen Dilettanten folgt? Weshalb haben solche Nullen angesichts unseres nie dagewesenen technologischen und wissenschaftlichen Fortschritts das Sagen?»

 

Für jene, die finden, das klinge ein bisschen geharnischt: Das kann schon sein. Aber die Weshalb-Frage, die dieser Mann hier stellte, ist trotzdem ausserordentlich interessant.

 

Auch wir als bürgerlich-liberale – oder vielleicht auch bürgerlich-konservative – Schweizer werden schliesslich der Ansicht sein: Irgendwie sind in der Politik zunehmend die falschen Kräfte am Ruder. Irgendwie ging es früher in der Politik besser zu und her, rationaler, vernünftiger, rechtmässiger, gesünder.

Weshalb ist das so? Der Antwort auf diese Frage will ich mich im Folgenden kurz widmen.

 

Meiner Ansicht nach sind es drei Faktoren, die dazu geführt haben:

Der erste hat damit zu tun, dass vor allem die politische Linke immer weniger Hemmungen hat, gemeinsame Institutionen, die lange «heilig» waren, in den ideologischen Grabenkampf hinunterzuziehen.

Was meine ich damit? Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Bereich Schule.

Im Tages-Anzeiger erschien Anfang März ein Artikel über bürgerliche Politiker im Kanton Zürich, die die «integrative Schule» bekämpfen. Mit mehreren politischen Demarchen wollen diese Politiker die Wiedereinführung von Sonderklassen zum Beispiel für Schüler erreichen, die den Unterricht in den Regelklassen massiv stören.

Diese Bürgerlichen argumentierten wie folgt für ihr Anliegen, ich zitiere:

«Von Kleinklassen profitieren alle – die betroffenen Kinder, die Mitschüler, die Lehrkräfte.»

Offensichtlich messen diese Politiker die Qualität einer Schule an dem, was sie Schülern und Lehrern bietet. Und ich wage zu behaupten: Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte man das in allen Parteien so gesehen. Heute hingegen ist das leider nicht mehr der Fall.

 

Im gleichen Tagi-Artikel wurde auch eine SP-Politikerin und Primarlehrerin zitiert. Sie gab das Folgende zu Protokoll:

«Für eine fortschrittliche Gesellschaft gibt es ohne integrative Schule gar keine Alternative.»

 

Dass gemäss mehreren Umfragen sowohl die Bevölkerung wie auch die Lehrer die Sonderklassen zurückwollen, ist hier nicht der Punkt. Dass die integrative Schule in der Tat katastrophale Ergebnisse produziert, auch nicht.

Der springende Punkt, meine Damen und Herren, ist, dass es im Denken dieser SP-Politikerin gar keine Rolle mehr spielt, wie welche Schulmodelle sich auf die Qualität der Schule auswirken.

Im Mittelpunkt steht bei ihr vielmehr die Erlangung irgendeines abstrakten ideologischen Ziels – einer «fortschrittlichen Gesellschaft», was auch immer das sein mag. Und wenn man diese «fortschrittliche Gesellschaft» mit dem Preis halbanalphabetischer Schulabgänger sowie der Verrohung des Schulbetriebs bezahlen muss, dann ist das halt offenbar einfach so.

 

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie sollen wir eine gemeinsame gesellschaftliche Basis, funktionierende Institutionen und eine leistungsfähige Wirtschaft erhalten, wenn nichts mehr heilig ist, wenn man alles verideologisieren kann?

 

Beim zweiten Problem geht es um die Frage, ob Realität in der Politik optional ist oder nicht. Hier muss ich leider die ebenfalls sehr beunruhigende Entwicklung feststellen, dass immer weitere Kreise das Gefühl haben, naturgegebene Gesetze und Einschränkungen liessen sich in der Politik folgenlos ignorieren.

Kurz vor seiner Wahl gab der neue Mitte-Bundesrat, Martin Pfister, öffentlich zu Protokoll, er sei «offen für die Möglichkeit, ein drittes Geschlecht im Pass eintragen zu lassen».

Was heisst das «offen sein für die Möglichkeit, ein drittes Geschlecht im Pass eintragen zu lassen»?

Auf den ersten Blick scheint es einfach ein Signal an die Linken zu sein, man lasse gut mit sich reden. So, wie wenn er gesagt hätte, er sei nicht prinzipiell gegen höhere Steuern und mehr ÖV. Aber es gibt eben einen kapitalen Unterschied.

Die Steuern zu erhöhen oder den ÖV auszubauen, geschätzte Damen und Herren, steht nicht im Konflikt zur unabänderlichen, objektiven Realität, die je nach Weltanschauung gott- oder naturgegeben ist. Das dritte Geschlecht hingegen voll und ganz. Es hat immer nur zwei Geschlechter gegeben und es wird immer nur zwei Geschlechter geben. Sie können ein menschliches Skelett hundert Jahre nach dem Tod des Menschen ausgraben, dem es gehört hat, und problemlos feststellen, ob dieser Mensch ein Mann oder eine Frau war – so fundamental und unabänderlich ist die Dichotomie der Geschlechter.

Wer bereit ist, so zu tun, als gäbe es ein drittes Geschlecht, ist bereit, das, was im offensichtlichen Widerspruch zur Realität steht, als etwas zu behandeln, das völlig realitätskonform ist. Das ist natürlich schon an und für sich sehr schlecht. Aber es geht noch weiter. Unser neuester Bundesrat ist ja nicht nur «offen» für die simple Idee des dritten Geschlechts. Er ist offen, diesen realitätswidrigen Unsinn nirgendwo anders zu sanktionieren als in einem Pass – also in einem der repräsentativsten und wichtigsten Dokumente, die ein Staat ausstellt!

Ich habe keine Hinweise, die es mir erlauben würden, Bundesrat Pfister eine Nähe oder eine Vorliebe für totalitäre Systeme vorzuwerfen. Was man hingegen nicht von der Hand weisen kann, ist, dass seine «Offenheit» jenen Kräften Tür und Tor öffnet, die tatsächlich in Richtung Totalitarismus wollen. Es gibt nämlich wenig, was den Geist der Freiheit und den Sinn für Recht und Unrecht so nachhaltig beschädigt wie der alltägliche Zwang, vorzugeben, dass das richtig sei, wovon man genau weiss, dass es falsch ist.

Dieses um sich greifende Desinteresse an der Realität hat aber nicht nur psychologische und ordnungspolitische Konsequenzen. Es gibt auch handfestere Folgen. Wir können hier gleich beim Thema bleiben. Das dritte Geschlecht im Pass ist ja nur die Fortsetzung eines Trends, der uns schon den «unbürokratischen» Wechsel des Geschlechts beschert hat. Seit 2022 kann jeder biologische Mann per kurzem Behördengang für 75 Franken amtlich zur Frau werden. Damit wird er auch rechtlich als Frau behandelt. Er erhält so unter anderem Zugang zu Umkleidekabinen, WCs und Bäder für Mädchen und Frauen.

Jeder, für den die Realität nicht völlig optional ist, kann sich vorstellen, was das bedeutet. Unter anderem völlig vermeidbare Sexualverbrechen. So gibt es in den USA schon eine ganze Reihe von Fällen, in denen «Transfrauen», die in Frauengefängnissen untergebracht worden waren, weibliche Insassen vergewaltigten.

Die Realität zu ignorieren, ist «all fun and games until it isn’t anymore», wie die Amerikaner sagen. Auch in der Schweiz: Je gleichgültiger wir das vorsätzliche Ignorieren der Realität hinnehmen, desto schlechtere Politik erhalten wir.

 

Das dritte Problem, das verantwortlich ist für die merkliche Verschlechterung des politischen und wirtschaftlichen Klimas, ist auch eins, das sich von den extremen politischen Rändern – vor allem vom linken Rand – in die Mitte gefressen hat. Dieses Problem besteht darin, dass man Widersprüche in Theorien, Ansichten, Programmen und Meinungen nicht mehr als Problem betrachtet – und sie deshalb auch nicht mehr ausräumen will.

 

Weltmeister in dieser Disziplin des «Umarme den Widerspruch» sind die Linken der Generation Tamara Funiciello und Cedric Wermuth:

Die Klimaerwärmung ist ganz schlimm und der Naturschutz höchstwichtig. Aber von der CO2-ärmsten und raumsparendsten Produktion von Bandenergie – Sie wissen schon: die Atomkraft – muss man superdringend wegkommen.

In Polizei und Militär herrschen systemischer Rassismus und Sexismus. Aber ausser Polizisten und Soldaten sollte möglichst niemand eine Waffe besitzen.

Diversität ist heilig. Aber dass Juden aus Angst vor Pro-Terror-Mobs ihre Identität verstecken müssen, das geht in Ordnung.

Sexuelle Gewalt wird von der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft verharmlost. Aber Vergewaltiger sollten auch mit einer Geldstrafe davonkommen können.

Ein Gottesbezug gehört nicht in die Verfassung. Aber der Islam, der gehört zur Schweiz.

Und vielleicht mein persönlicher Favorit: Kriminalität wird durch Armut und Diskriminierung verursacht. Aber die grössten Verbrecher sind politisch einflussreiche Unternehmer wie Trump, Musk und Blocher. Aber wie gesagt: Diese Lust am Widerspruch ist nicht mehr nur bei der harten Linken zu finden. Sie hat sich bis in die politische Mitte durchgeschlagen.

 

Um Ihnen ein persönlich gefärbtes Beispiel aus der Sicherheitspolitik zu geben: Ich bereiste kürzlich Vietnam. Ich nahm da auch an einer Führung durch ein Tunnelsystem aus dem Vietnamkrieg teil. Ein ca. 90-jähriger ehemaliger Vietcongkämpfer, der bei einer Explosion einen Arm verlor, erklärte uns das Widerstandsnest und die Taktik bzw. die tödlichen Hindernisse. Nach seiner Demonstration hatte ich die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit ihm. Er verbrachte 12 Jahre im Tunnelsystem und zwei seiner Kinder wurden da geboren. Ich fragte ihn, ob er die Strapazen nochmals auf sich nehmen würde. Er antwortete ja, er würde sogar noch viel länger unten ausharren, denn die Freiheit sei das wichtigste Gut, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt.

Es geht mir hier nicht spezifisch um die Freiheiten, die der durchschnittliche Vietnamese tatsächlich geniesst. Es geht um die Einstellung. Dieser Mann hatte den ultimativen Geist des Freiheitskämpfers in sich: Manchmal ist Widerstand mit Gewalt besser als Frieden; der Schutz der Freiheit ist nicht nur Recht, sondern auch Pflicht; und es gibt schlimmere Dinge als der Tod.

Fragen Sie sich: Ist dieser ehemalige Vietcongkämpfer wohl dafür, dass die Grenzen seines Landes unbewacht bleiben? Und wäre er dafür, seiner Frau die Verwendung eines Pfeffersprays oder ggf. das Tragen einer Waffe zu verbieten, sodass sie bei einem Messerangriff in einer Alltagssituation völlig schutzlos wäre?

Natürlich nicht. Es wäre ja absurd widersprüchlich. Aber genau dieser absurde Widerspruch zeichnet heute unter anderem die Position der Schweizerischen Offiziersgesellschaft und auch der FDP-Sicherheitspolitik aus. Diese Kreise werden nicht müde zu betonen, wie wichtig es sei, das Armeebudget zu erhöhen. Zu Recht. Nur sind sie, was systematische Grenzkontrollen und die Abwehr von Kriminellen und Terroristen im Zivilleben anbelangt, mittlerweile etwa auf der Linie der GSoA. Und wohl genau darum, genau wegen dieses eklatanten Widerspruchs, gibt es nicht mehr allzu viele Leute, die es interessiert, wenn die Offiziersgesellschaft oder die FDP-Sicherheitspolitik irgendwas mitteilt.

 

Widersprüche muss man auflösen. Wer das nicht tut, ist zum Scheitern verurteilt – überall, nicht nur in der Wissenschaft. Es liegt deshalb auf der Hand: Solange diese «Toleriere-den-Widerspruch»-Kultur nicht zurückgedrängt wird, solange dürfen wir nicht auf bessere Zeiten hoffen.

 

Geschätztes Publikum, ich komme zu einer Zusammenfassung und auch schon fast zum Schluss.

Unsere Organisation heisst «Pro Schweiz.» Ein wesentliches Ziel unserer Organisation ist es, mit Initiativen und anderen politischen Aktionen wirksam zu sein in der politischen Praxis. Ich komme gleich noch kurz auf drei aktuell besonders wichtige Belange: die Neutralitätsinitiative; die Kompass-Initiative und den Kampf gegen den sogenannten «Rahmenvertrag», den Unterwerfungsvertrag den man auch «Zwangsjackenvertrag» nennen könnte – dies darum, weil wir mit ihm ja die komplette Bewegungsfreiheit behalten würden, allerdings nur solange unsere Bewegungen nicht dem zuwiderlaufen, was man in Brüssel beschliesst.

Bevor ich zu diesen Anliegen komme, will ich aber noch in aller Deutlichkeit herausstreichen: «Pro Schweiz» heisst mehr und muss mehr heissen als nur «pro bestimmte Initiativen.»

 

Wir Schweizer sind keine Götter. Auch wir haben über die Jahrhunderte einige grössere und kleinere Fehler gemacht. Aber wir haben viel weniger Fehler gemacht, viel bessere Entscheide getroffen und viel weniger Unrecht zugelassen als alle Völker und Staaten um uns herum. Und warum war das so? Nicht aufgrund einzelner Initiativen oder Aktionen, sondern aufgrund einer besonderen politischen Kultur. Aufgrund einer politischen Kultur, die in der Vergangenheit genau jene drei Erscheinungen, über die ich eben geredet habe, weniger akzeptiert hat, als das andernorts der Fall war.

Erstens: Wir haben in der Vergangenheit besser als andere darauf geachtet, gemeinsame Institutionen heilig zu halten und nicht zum Gegenstand ideologischer Grabenkämpfe zu machen.

Zweitens: Wir haben in der Politik besser akzeptiert als andere Völker, dass es eine unabänderliche Realität gibt, mit der wir uns arrangieren müssen. Genau aus diesem Grund sind uns in der Vergangenheit die verheerenden Folgen etlicher wohlklingender, aber mit der Realität kollidierender Revolutions- und Heilsideologien erspart geblieben.

Und drittens: Wir haben in der Vergangenheit rationaler politisiert als andere. Und das heisst nichts anderes, als dass wir weniger Widersprüche akzeptiert haben als andere. Genau deshalb haben wir von haufenweise irrationalem Quatsch die Finger gelassen, an dem sich andere verbrannten.

 

Das heisst: Wenn wir «Pro Schweiz» sein und bleiben wollen, dann müssen wir uns vermehrt auch der Aufgabe zuwenden, unsere politische Kultur zu schützen. Das wird eine Herkulesaufgabe, auf die ich hier nicht näher eingehe – ich begnüge mich damit, eines zu betonen: Sie lohnt sich, also packen wir sie an!

Ich komme nun noch kurz auf die drei genannten, wichtigen Themen. Wir werden im Verlauf des Tages mehr zu ihnen hören, und ich will nicht vorgreifen. Es ist mir aber ein Anliegen, kurz aufzuzeigen, wie sehr unsere Gegnerschaft in Bezug auf diese drei Anliegen vom Geist dieser politischen Unkultur befallen ist, die ich eben beschrieben habe.

Zuerst zur Neutralitätsinitiative. Ein gewichtiges Argument der Gegner ist ja, die Antwort auf die erodierende Sicherheitslage sei jetzt mehr militärische Kooperation mit der NATO, der EU, ja gar der Aufbau einer europäischen Armee.

Das ist selbstverständlich nicht der Fall.

Aber gehen wir mal davon aus, die Lösung wäre nun wirklich, vermehrt mit irgendwelchen anderen Staaten und Organisationen zusammenzuarbeiten. Okay. Nur: Womit genau sollen wir den kooperieren? Die Schweizer Armee ist derart unterfinanziert, dass wir erstens noch Schützenpanzer aus der Vietnamkriegszeit in Betrieb haben. Schützenpanzer, die man zweitens aus lauter Geldnot nicht sofort reparieren kann, wenn sie kaputtgehen – also das tun, wozu solches Alteisen halt tendiert. Und wenn die Soldaten dann nach einem Tag, an dem sie nicht einmal mehr mit Oldtimer-Material üben konnten, abends ein Bier trinken gehen wollen, dann müssen sie das im TAZ tun. Dies darum, weil mittlerweile drittens sogar der Ausgänger zu teuer geworden ist! So sieht die Situation in der Schweiz aus! Und in Deutschland zum Beispiel ist sie bekannterweise noch viel desolater. Dementsprechend stellt sich so eine Art 1-Million-Euro-Frage. Sie lautet: Wer genau soll mit wem genau kooperieren? Das Schweizer Bundesamt für Umweltschutz mit dem deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend?

 

Sie sehen: Selbst wenn Kooperation an und für sich wünschenswert wäre: Sie zum heutigen Zeitpunkt als Lösung anzupreisen, geht nur, wenn man die Realität als optional betrachtet. Wir sollten uns besser an Schillers Wilhelm Tell orientieren, wo es heisst «Der Starke ist am mächtigsten allein».

Ähnlich ist es in Bezug auf die Gegnerschaft der Kompass-Initiative. Am 1. August reden alle davon, wie gut «unsere direkte Demokratie» sei. Auch die Linken. Den Tell lassen sie aus, aber ohne Bezug auf die Vorzüge «unserer direkten Demokratie» geht es auch bei ihnen nicht.

Und damit hat es sich eigentlich schon. Die Kompass-Initiative will in Bezug auf internationale Verträge ein Abrutschen der direkten Demokratie in den Parlamentarismus verhindern. Wie kann man diese Entwicklung nicht stoppen wollen, wenn man «für unsere direkte Demokratie» ist? Gar nicht. Ausser eben, man umarmt entweder einen elefantengrossen Widerspruch oder aber man will unsere direktdemokratischen Institutionen so aushöhlen wie die genannte SP-Politikerin unsere Volkschule. Dementsprechend hier meine explizite Bitte: Wenn Sie es noch nicht getan haben: Unterschreiben Sie diese Initiative noch heute!

 

Ja, und zu guter Letzt noch der unsägliche sogenannte «Rahmenvertrag». Hier kann ich es wirklich sehr kurz machen. Das Hauptargument der Befürworter ist da: «Die demokratischen Rechte bleiben gewährleistet, man kann immer noch Nein sagen». Wenn ich das nur schon höre, kriege ich einen Anfall.

Wissen Sie, was dieser sog. «Rahmenvertag» ist? Er ist das Schengen-Regime der offenen Grenzen, einfach für ausländische Gesetze. Wir können immer noch agieren, einfach erst zu spät. Standardmässig kommen mal alle, wir haben keine Kontrolle. Und dann, wenn sie schon im Land sind, glückt hie und da ein Referendum beziehungsweise gelingt eine Schleierfahndung. Eine Mogelpackung in Reinkultur also!

 

Zu sagen, mit diesem Zwangsjackenvertrag bliebe die Demokratie intakt, ist ebenso unseriös wie die Behauptung, mit Schengen blieben unsere Grenzen sicher. Und das will doch etwas heissen!

 

Meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluss.

Ich danke dem Vorstand, der notabene wie auch ich ohne Entschädigung arbeitet, für das tolle Engagement. Speziell danken möchte ich dem Vizepräsidenten und Projektleiter der Neutralitätsinitiative, alt NR Walter Wobmann sowie dem Projektleiter der Arbeitsgruppe EU, a SR/ a NR Adrian Amstutz für ihren grossen Einsatz. Meinen grossen Dank spreche ich auch unserem Geschäftsführer Werner Gartenmann aus, der mit viel Engagement, Herz und Umsicht die operativen Geschicke von Pro Schweiz leitet. Ebenfalls danke ich Sandra Flück und Ami Gartenmann, die das Backoffice in Lauterbrunnen leiten und ebenso den vielen Helferinnen und Helfern, ohne die wir einen Anlass wie den heutigen nicht durchführen könnten. Einen ganz besonderen Dank richte ich an unseren «spiritus rector» und alt Bundesrat Christoph Blocher für seine stets wohlwollende Begleitung sowie seine grosszügige finanzielle Unterstützung von Pro Schweiz!

Ich danke auch dem Orchester Pro Schweiz unter der Leitung von Willy Walter für die tolle musikalische Begleitung!

Danken möchte ich auch dem Kanton Bern für das Gastrecht in der Kaserne.

Und zuletzt danke ich Ihnen allen, liebe Mitglieder, Gönner und Sympathisanten von Pro Schweiz herzlich für Ihre Teilnahme an der heutigen Jahresversammlung sowie Ihren wichtigen finanziellen Beitrag.

 

Liebe Freunde:

Wir alle hatten das Privileg, in ein einzigartiges, innovatives, freies, souveränes, neutrales und erfolgreiches Land hineinzuwachsen. Geben wir alles, aber wirklich alles, dass dieses Land genau so bleibt!

Die Schweiz kommt immer zuerst!

Ich danke Ihnen!

Schlusswort

 

Es liegt einiges hinter Ihnen, und zwar «mikro» wie «makro».

«Mikro» haben Sie eine ganze Reihe von Referaten gehört und über etliche Traktanden befunden. 

 

«Makro» gehören sie zu jenen Kräften, die mindestens seit dem EWR-NEIN vom 6. Dezember 1992 einen ständigen Abwehrkampf gegen die Kreise führen, die die Schweiz trotz allem in die EU integrieren — oder eben auflösen — wollen.

 

Vor diesem Hintergrund habe ich nicht vor, noch viel von Ihrer Zeit und Energie in Anspruch zu nehmen. Bevor ich Sie aber sozusagen «entlasse», ist es mir ein Anliegen, Ihnen noch zwei kleine, aber meines Erachtens zentrale Dinge auf den Weg zu geben. 

 

Zum einen möchte ich Ihnen noch kurz vor Augen führen, warum wir es heute viel leichter haben als jene, die in den frühen Neunzigern gegen den EWR kämpften. Und zum anderen möchte ich noch auf eine Anekdote kommen, die über einen der grössten Männer in der Geschichte der freien Welt erzählt wird.

 

Zum ersten Punkt: Bekannterweise redete der damalige Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz nach dem EWR-Nein von einem «dimanche noir» für unser Land. Besonders schwarz sah er für die Wirtschaft und die Jugend.

Natürlich gab es schon damals Leute, die es ein bisschen klarer sahen als Delamuraz. Einen davon kennen Sie vielleicht – er war mal Bundesrat und ist auch ab und zu an einem Anlass von «Pro Schweiz» zu sehen.

 

Eines aber muss man Delamuraz zugutehalten: Der Praxisbeweis, dass die zentralistische EU-Idee nicht funktioniert, war damals noch nicht erbracht. Wer damals von einer grossen Zukunft der Schweiz in der EU träumte, der träumte noch nicht im Widerspruch zu einer offensichtlichen Realität.

 

Heute ist das entschieden anders. Kein vernünftiger Mensch sieht in der EU noch irgendein verheissungsvolles Zukunftsprojekt. Die Missstände und Miseren der Brüsseler Bürokratie sind überwältigend und allseits bekannt. Der einzige Grund, aus dem man heute noch mehr politische Verflechtung mit der EU will, ist Angst: Angst, unser Land sei zu klein, zu wertlos oder zu schwach, um die Reaktion aus Brüssel auszuhalten, die auf ein NEIN zum Zwangsjackenvertrag folgen würde.

Geschätzte Damen und Herren: Alles, was wir tun müssen, ist, einer genügenden Anzahl unserer Mitbürger eine unbegründete Angst zu nehmen. Sie müssen zugeben: Das ist doch um einiges einfacher, als gegen den EWR zu kämpfen – gegen ein Projekt also, das bei weiten Kreisen mit echtem Optimismus und ehrlicher Begeisterung verbunden war.

 

Der zweite Punkt ist eine Anekdote, die über Abraham Lincoln erzählt wird. Konkret soll er einmal ein Publikum gefragt haben, wie viele Beine ein Hund habe, wenn man auch den Schwanz als Bein zähle. «Fünf», kam die Antwort. Worauf Lincoln erwiderte: «Nein, vier. Ein Hund hat vier Beine, egal, wie man was zählt.»

 

Die Realität, meine Damen und Herren, interessiert sich nicht dafür, wie wir sie benennen und ob wir sie leugnen. Wie ein Hund vier Beine hat, bedeutet eine engere Anbindung an die EU weniger Freiheit, weniger Wohlstand und weniger sozialen Zusammenhalt. Man kann diese Anbindung «Rahmenvertrag» nennen, «Weiterentwicklung der Bilateralen», «Königsweg» oder wie auch immer – an den Fakten ändert das nichts.

 

Meine Damen und Herren, wir kämpfen nicht, weil wir jemandem unsere Meinung oder unseren Lebensstil aufdrücken wollen. Wir kämpfen für eine Politik, die mit der Realität übereinstimmt.

Wir kämpfen, weil wir wissen, dass es nicht nur uns, sondern auch unseren Mitbürgern entschieden schlechter gehen wird, wenn wir verlieren.

 

Wir kämpfen für das Richtige.

 

Aus diesem Grund müssen wir unsere Kraft auch nicht daraus ziehen, dass wir die Oberhand haben, in der Überzahl sind oder leicht an Lob und Schmeicheleien kommen. Das ist ein Privileg. Nutzen wir es aus!

 

Nutzen wir es aus und leisten wir genau so viel in unserer Zeit, wie jene geleistet haben, dank denen Bundesrat Delamuraz damals schwarze Tage voraussagte. Das heisst: Kämpfen wir erstens nicht weniger unverdrossen für unsere Schweiz als jene, die Ende 1992 den historischen Sieg für unsere Freiheit und Unabhängigkeit errangen.

 

Und zweitens sollten wir uns genauso akut bewusst sein wie unsere Vorreiter, dass wir neben politischen Kämpfen auch Köpfe gewinnen mussten. Wir alle stehen hier, weil jemand vor uns daran gedacht hat, uns hierhin zu lotsen. Dementsprechend rufe ich Sie zum Schluss alle auf, den erhaltenen Staffetenstab nicht irgendwo hinzulegen, sondern weiterzugeben. Denken Sie nur, was wir alles erreichen können, wenn jedes unserer etwa 26’000 Mitglieder auch nur eine einzige Person zu uns hinführt. Dass wir über Nacht referendumsfähig wären, würde fast schon zu den angenehmen Nebeneffekten gehören!

 

Damit sind wir am Schluss der Veranstaltung angelangt. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung. Es kommt auf jeden Einzelnen an! Kommen Sie gut nach Hause. Ich freue mich, Sie bald wieder zu sehen!

 

Referat herunterladen (PDF)